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VMW-Forderungen an die Koalitionsparteien des zukünftigen Berliner Senats

Der Verband der Migrantenwirtschaft fordert in einem Briefen an die Vorsitzende*n der Landesverbände von SPD, Grüne und Linke die Belange der Migrantenwirtschaft im Koalitionsvertrag für die zukünftige Berliner Landesregierung stärker zu Berücksichtigen. Insbesondere in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Bildung und Verwaltung mahnt der VMW eine Fokussierung auf die Bedürfnisse der Unternehmer*innen mit Einwanderungsbiographien an.

Wirtschaft: Laut Mikrozensus von 2020 haben 26,7% bzw. 21,9 Millionen Menschen in Deutschland Einwanderungsbiographien. Von den rund 32 Millionen Erwerbstätigen in der deutschen Privatwirtschaft haben über zwei Millionen Arbeitnehmer*innen eine Stelle in Unternehmen, die von Migrant*innen gegründet und/oder geleitet werden. Über 20% der Unternehmensgründungen gehen auf Migrant*innen zurück. Die Tendenz ist steigend. Um die unternehmerische Tätigkeit der Migrant*innen optimal zu fördern, werden zusätzlich zu den bestehenden Instrumenten spezifische Maßnahmen benötigt.

Migrant*innen machen sich überdurchschnittlich häufig selbständig und gehen das Risiko einer Firmengründung ein. Die Biontech-Gründer Özlem Türeci und Ugur Sahin haben mit ihrer Forschung und ihrem Unternehmertum einen der wichtigsten Beiträge im Kampf gegen die Corona-Pandemie geleistet. Das Ehepaar Türeci-Sahin steht stellvertretend für die Vielfalt der Biographien und das Engagement der Einwanderer*innen. Der Spitzenerfolg der beiden Ausnahmewissenschaftler bleibt leider eine Ausnahme. Der Zugang zu Bildung, angemessener gesellschaftlicher Partizipation und Kapital stehen nicht allen Gründer*innen mit Einwanderungsbiographien gleichermaßen zur Verfügung.

Das hohe Innovationspotential und die Risikobereitschaft zur Unternehmensgründung der Menschen mit Einwanderungsbiographien verdienen eine angemessene Repräsentation und Anerkennung in der Öffentlichkeit, denn sie tragen zum nachhaltigen Erfolg unserer sozialen Marktwirtschaft bei.

Für migrantische Gründer*innen muss die Gründungsberatung angepasst werden: Die Bereitschaft unternehmerisches Risiko einzugehen ist unter Migrant*innen höher als im Durchschnitt. Um die Rate der erfolgreichen Unternehmensgründungen zu erhöhen und den unternehmerischen Erfolg zu verstetigen, müssen Angebote für Gründungsberatung verstärkt auf die spezifischen Herausforderungen dieser Zielgruppe eingehen.

Die bürokratischen Vorschriften für Gründer*innen müssen verschlankt werden. Die Vielzahl der Vorschriften stellen besonders für Gründer*innen mit Einwanderungsbiographien eine Hürde dar. Durch eine Verschlankung der Bürokratie bei der Unternehmensgründung würden alle Gründer*innen profitieren.

Der Zugang zu Venture- und Fremdkapital muss erleichtert werden: Gründer*innen mit Einwanderungsbiographie berichten über ungleiche Behandlung beim Zugang zu Fremdkapital, insbesondere Gründerdarlehen von Banken. Ein diskriminierungsfreier Zugang zu Fremdkapital muss sichergestellt werden. Zusätzlich würden staatliche Gründungsfonds und/oder staatliche Bürgschaften weitere Anreize und Unterstützung bei der Gründung schaffen.

In vielen Bereichen dominiert weiterhin ein homogenes Bild der Bevölkerung, das von der Realität abweicht. Insbesondere im Bereich der beruflichen Ausbildung fehlen Vorbilder und Role Models mit Einwanderungsbiographien. Wettbewerbe wie „Vielfalt in der Ausbildung“ machen die Chancen für berufliche Karrieren sichtbar. Gerade in den Ausbildungsberufen ist eine höhere Sichtbarkeit von Migrant*innen notwendig. Der Aufruf zum sprichwörtlichen Imagewandel muss an alle Bereich des öffentlichen Lebens von Verwaltung über Wirtschaft und natürlich bis hin zu den Medien gehen und gelebt werden.

Kammern und Verbände müssen sich für Migrant*innen stärker öffnen: Erhöhung des Anteils der Unternehmervertreter*innen mit Einwanderungsbiographien in Leitungs- und Aufsichtsgremien von Verbänden und Kammern. Präsidien und Vorstände der Verbände und Kammern sind unterdurchschnittlich mit Unternehmervertreter*innen mit Einwanderungsbiographien besetzt. Um dieser Gruppe eine angemessene politische Stimme zu geben, muss sich auch in Zukunft ihr Anteil in den Gremien erhöhen.

Politik: In der neuen Senatsverwaltung sollten Menschen mit Einwanderungsbiographie stärker beteiligt werden: Eine neue Regierung muss neben der Geschlechterverteilung auch die biographische Zusammensetzung der Bevölkerung abbilden. Deshalb fordert der VMW bei der Besetzung von Regierungsämtern Menschen mit Einwanderungsbiographien stärker zu berücksichtigen.

Es ist notwendig, dass zukünftig mehr Migrant*innen ins Abgeordnetenhaus und in die Bezirksverordnetenversammlungen einziehen. Über ein Drittel der Berliner Bevölkerung verfügt über Einwanderungsbiographien. Außerdem liegt der Anteil der Wähler*innen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene oft unter dem Durchschnitt. Wahlberechtigte Menschen mit Einwanderungsbiographie nehmen rund 25% weniger an Wahlen teil. Bei den Mitbürger*innen mit türkischen Wurzeln sind es sogar über 35%. Geeignete Maßnahmen und Förderungen müssen zur Erhöhung des Anteils von Menschen mit Einwanderungsbiographien, die sich auf Bezirks- und Landesebene in Parteien und Bürgerbewegungen engagieren sowie zur Erhöhung des Anteils der Wählenden mit Einwanderungsbiographie beitragen.

Bildung: Der Erfolg von schulischer, beruflicher und akademischer Bildung darf nicht vom Bildungs- oder Sozialstatus der Eltern oder von einer Einwanderungsbiographie abhängen. 2018 verfügten 34% der neu Zugewanderten über einen akademischen Abschluss (Durschnitt in Deutschland: 23%). Jedoch hatten nur 22% eine abgeschlossene Berufsausbildung (Deutschland: 67%). 40% der kürzlich Zugewanderten verfügte über keinen berufsqualifizierenden Abschluss.

Deshalb fordert der VMW die Umsetzung von bildungspolitischen Maßnahmen wie Sprachkurse für alle Zuwanderer und Förderunterricht für Kinder aus Familien mit Einwanderungsbiographien, Umfangreiche KITA-Angebote für Familien mit Einwanderungsbiographien, Möglichkeiten zur Ganztagsschule bzw. Ganztagsbetreuung von Schüler*innen und Objektivierung der Gymnasialempfehlung. Der Übertritt von der Primärstufe auf eine Sekundarstufe darf nicht an subjektiven Empfindungen von Lehrer*innen festgemacht werden. Weiter fordert der VMW eine besondere Förderung von Studium und Lehrberufen durch Ausbau der Bafög-Maßnahme, die Interkulturelle Öffnung der Lehrenden sowie die stärkere Digitalisierung der Schulen. Es muss sichergestellt werden, dass sozial schwache Haushalte nicht abgehängt werden, weil es dort an Infrastruktur mangelt.

Verwaltung: Digitale Serviceangebote verkürzen Bearbeitungszeiten, können einfach mehrsprachig bereitgestellt werden und sind diskriminierungsfrei. Eine einfache Sprache anstatt „Amtsdeutsch“ fördert das Verständnis für Verwaltungsvorgänge und erhöht damit die Akzeptanz.

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